Wieder aktuell:
Kommentare von 2005:
Wir scheinen ja so gründlich unsere Holocaustgeschichte aufgearbeitet zu haben. Viele meinen deswegen berechtigt zu sein, dann schnell den Zeigefinger gegen andere zu erheben.
Vor wenigen Jahren konnten wir erfahren, wie wenig wir über unsere lokalen Politker wissen, die damals in Riga waren:
Aus Osnabrücker Mitteilungen 2001 (Historischer Verein), von Gerd Steinwascher.
Titel: Dr. Johannes Petermann- Bürgermeister und Regierungspräsident von Osnabrück.
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"Ein Blick sei noch auf das Schicksal des Nachfolgers von Petermann im Jahre 1938 geworfen. Dr. Hanns Windgassen geriet nach seiner Tätigkeit in Riga und als Gebietskommissar in Libau in Kriegsgefangenschaft. In Riga agierte er seit 1941 als Bürgermeister; damit ergaben sich Spekulationen über eine Beteiligung seiner Person an den furchtbaren Geschehnissen, die sich in Riga als einem - gerade für die Osnabrücker Juden- zentralen Ort der Judendeportationen und -ermordung abspielten. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Münch in Osnabrück stellte 1950 diese Frage, allerdings nicht an Windgassen, sondern an einen weiteren Osnabrücker Beamten der Stadtverwaltung, den späteren Verwaltungsdirektor Ernst Didem, der ebenfalls in Riga eingesetzt war. Dieser dementierte in heftiger Form und nahm in dieser Hinsicht auch Windgassen in Schutz. Als Gebietskommissar in Libau muss Windgassen ebenfalls erhebliche Machtfülle besessen haben. Windgassen gelang es, von den alliierten Truppen offenbar in Wehrmachtsuniform gefangengenommmen zu werden. Auf dem Entlassungsschein gab er als Beruf Kaufmann und als Anschrift eine Düsseldorfer Wohnung an. Er versuchte also offensichtlich, seine Identität zumindest bezüglich seiner Osnabrücker Tätigkeit zu verheimlichen. Aus diesem Grund meldete er sich auch nicht in Osnabrück zurück. Für die Osnabrücker Stadtverwaltung war er schlicht `verschwunden`. Auf Anordnung der Militärregierung hatte man ihn am 23. Mai 1945 mit sofortiger Wirkung entlassen, doch war die Verfügung unzustellbar, da er sich nicht in seinem Haus in der Weißenburgstraße aufhielt. Sein Abtauchen dauerte bis zum Sommer 1949. Am 29.Juli 1949 ließ Windgassen sich in Wuppertal in einem mündlichen Verfahren entnazifizieren und wurde - für diese späte Entnazifizierungsphase nicht ungewöhnlich - glatt in Kategorie V eingruppiert und damit vollkommen entlastet."
1949 forderte er seine Wiedereinsetzung in sein Amt und schaltete in dieser Sache seine Rechtsanwälte ein. Er hatte aber keinen Erfolg damit.
Steinwascher weiter: " Als Windgassen 1971 in Krefeld verstarb, schickte die Stadt Osnabrück einen Kranz, auf einen Nachruf verzichtete man, weil Windgassen keine Verbindungen mehr zu Osnabrück gehabt habe. So wurde in Osnabrück noch 1971 die NS-Vergangenheit bewältigt!"
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Das Bild über Osnabrück und seine frühere Geschichtsforschung nimmt ein immer düsteres Bild an.(Siehe erster Kommentar) In der lokalen Presse wurden gestern neue Ergebnisse aus Aktenfunden vorgestellt. Die Osnabrücker Juden sind zum großen Teil nach Riga verschleppt worden. Aber wir wissen immer noch nicht, wer in dieser Kette bis zur Ermordung die Mitverantwortung in Deutschland dafür trägt, wir fordern aber derartige Eingeständnisse, ohne ausreichende Quellen zu haben, von anderen (im Ausland). Das sind Auszüge aus dem Artikel:
NOZ 26.05.2005
"Auch 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Frage nach der Beteiligung lokaler Persönlichkeiten an den Verbrechen der Nationalsozialisten ein äußerst brisantes Thema.
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Erich Gaertner war von 1927 bis 1945 Oberbürgermeister. Noch lange nach Kriegsende wurde seine Arbeit allgemein mit Wohlwollen betrachtet. Man schrieb dem promovierten Juristen den Bau zahlreicher Luftschutzbunker zu, seine Aktivitäten im Bereich Wohnungs-und Straßenbau und seine Förderung des kulturellen Lebens wurden bis zu seinem Tod im Jahre 1973 immer wieder lobend hervorgehoben.
Die Frage, ob Erich Gaertner nur Mitläufer oder aktiver Teil des NS-Apparats gewesen ist, beantwortet Michael Gander [Historiker]entschieden:"Wer aus einem Verbrechen Nutzen zieht, ist mehr als ein Mitläufer." Der Uni-Historiker stützt sein Urteil auf Dokumente, die Gaertner eine unrühmliche Rolle im Zusammenhang mit dem Abriss der Synagoge 1938 und der Zwangsversteigerung des Grundstücks nachweisen. Vieles deutet darauf hin, dass Gaertner dafür sorgte, dass in Osnabrück das Räderwerk des Holocaust reibungslos funktionierte. Einträge in das Tätigkeitsbuch der Polizei belegen, dass er sich auch aktiv für die Ausbeutung von Zwangsarbeitern einsetzte.
Die anschließende, sehr emotionale Diskussion verdeutlichte die Brisanz des Themas. Auf den Vorwurf eines Zuhörers, dass nach 60 Jahren die "Wühltätigkeit" der Forscher doch endlich mal ein Ende haben müsse, reagierte Michael Gander gelassen: " Es ist die Aufgabe der Geschichtswissenschaft, derartige Hintergründe zu erforschen."...